Samstag, 21. Juli 2012

Erhöht die Fallzahlen, liebe Kollegen!

Irgendwie ist es immer wieder das Gleiche: Geheucheltes Entsetzen, Medienaufschrei, brutalst-mögliche Aufklärung und Nachdenken über Konsequenzen: der neue "Skandal" bei den Göttinger Transplantationschirurgen zum Team Lebertransplantation.
Da habe ein Kollege bei Empfängerpatienten "künstlich" Patientenakten bedarfsgerechter gemacht, indem er Daten gefälscht habe. Bisher steht weder fest, ob er von den Patienten dafür Geld genommen hat noch ob er als Einzel"täter" agiert hat. In den Medien ist eine Unschuldsvermutung sowieso nie angesagt.
Es ist ein bekannter Reflex, dass man sofort die finanziellen Vorteile des Kollegen diskutiert, der offenbar als Verantwortlicher diese Daten gefälscht und dafür gesorgt hat, sodass manche Patienten früher an ein begehrtes Spenderorgan kamen als andere.
Ethisch vertretbar ist das natürlich nicht, besonders wenn er sich diesen Dienst vom Patienten hat bezahlen lassen.
Aber in Nebensätzen scheint dann ein anderer, vielleicht der eigentliche, der wahrscheinlichere Beweggrund des Kollegen auf: die vertragsbedingte Leistungs-Abdingung durch den Träger. Heute sehen viele Arbeitsverträge mit den sogenannten Entscheidern vor, dass wegen der Auslastung von Geräten und Personal möglichst viele Leistungen innerhalb der DRG-Vorgaben erbracht werden, um die Fallzahlen zu erhöhen. Man nennt das Zielvorgaben. Dann gibt es nämlich Geld von der Kasse für das Krankenhaus, und auch (legitimes?) Geld für den Arzt…
Transplantationen bringen viel Geld, aber leider können mit ihnen nur geringe Fallzahlen erbracht werden. Die Spender lassen sich halt immer noch sehr bitten.
Also werden falsche Anreize gesetzt. Das berührt übrigens auch Felder der organisierten Kriminalität. Die Leistungsanreize können aber so gravierend sein, dass der Kollege sogar um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Also wird er tätig. Sollte das ein Beweggrund für den Kollegen gewesen sein, dann ist das ethisch natürlich unentschuldbar, und und strafrechtlich möglicherweise zu ahnden, und die Konsequenzen müssen dann getragen werden (von wem eigentlich?).
Aber es ist eben auch wieder der grundsätzliche Systemfehler unserer ökonomisierten Medizin anzuschuldigen. Und dass ein offenbar bekannter Transplanationsexperte heute im Radio von dieser "Ökonomisierung" der Medizin als etwas Unvermeidbarem sprach, das ist der eigentliche Skandal!

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