Dienstag, 31. Juli 2012

Unsere kranke Gesellschaft

aus:
Oskar Negt: Gesellschaftsentwurf Europa. Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen Steidl Verlag, Göttingen 2012

Wenn eine Gesellschaft ihre produktiven Energien hauptsächlich aus traditionell negativ beurteilten menschlichen Eigenschaften wie Gier und Besitzanhäufung aufbaut und mit ihrem betriebswirtschaftlichen Geist seit einigen Jahren auch Universitäten, Schulen und künstlerische Einrichtungen belästigt, dann braucht sich keiner zu wundern, wenn die guten alten Werte und Tugenden wie Solidarität, Mitmenschlichkeit, Vernunft et cetera im Schwinden begriffen sind. Wenn Schülern und Studenten systematisch eingebläut wird, es gehe bei der Ausbildung darum, einen Wettbewerb zu bestehen und möglichst viele Konkurrenten aus dem Spielfeld zu schlagen, dann werden sie als Bürger und Privatmenschen verrohen.

"Es könnte sein, dass wir von einer kranken Gesellschaft sprechen müssen, in der bewusste Politik ausgeschlossen ist, weil die Gesellschaft zum bloßen Anhängsel der wirtschaftlich Mächtigen und der Börsenkurse geworden ist."
zitiert nach Deutschlandradio Kultur v. 30.7.2012

Dem ist nichts hinzuzusetzen, außer, dass Negt einer der führenden 68er Köpfe neben Habermas und Adorno war. Sie denken also noch, die Köpfe, aus denen das kroch...

Donnerstag, 26. Juli 2012

Nikitins Hautspiele und Bayreuths Festspiele

Unanständig, ekelerregend, abstoßend, das sind die Attribute, die einem bei der unverschämt offenen Zurschaustellung der Brust des "Sängers" Nikitin zu Bayreuth einfallen. Nun sind Wagner und sein Musik nicht das, was einen von den "Hockern" holt. Schwülstig, langatmig und voller nordischer Lautmalerei, wen auch manchmal melodisch, hat diese Musik den Nazis sehr gefallen.
Und nun ein Sänger, auf dessen Brust Runen der SS, der Hitlerjugend und ein dickes, dickes Hakenkreuz "prangen". Er hat sie allerdings "überstechen" lassen, inzwischen, er wollte ja bei Wagners was werden. Passt irgendwie, ändert aber nix, und (nur) die politischen Korrektheit hat die heuchelnden Veranstalter gezwungen, solange Druck auf diesen Kerl auszuüben, bis er von sich aus geht. Ob er künstlerisch gut ist (man hat ihn ja nicht gehört), steht nicht zur Diskussion. Was müssen das für Geister sein, die einen Rockmusiker und Rechtslastigen zum Star der Bayreuther Festspiele machen wollten? Diese sind ja ein - ob man es nun gut heißt oder nicht - ein öffentliches geradezu nationales (sic) Ereignis, das ja nicht frei von Situationskomik und Selbstdarstellung ist. Erinnere man sich an Hitler und seine Winifred, erinnere man sich auch an den Auftritt Angela Merkels vor einigen Jahren, als sie mit fast freier Brust über den Roten Teppich der VIPs schritt?? Also - mit Geschmack haben diese Festspiele schon lange nichts mehr zu tun.
Und sie sind auch ein Gesellchaftsspiegel. Narr, wo bist Du, diesen Spiegel hoch zu halten? Diese eklen Hautspielereien, Tatoos nennt man sie wohl. Überall tauchen sie auf, gerade jetzt im Sommer. Metallringe in der Nase, den Lippen und sonst wo -"Piercing" als Spielart der "angesagten" Selbstverstümmelung gehört auch dazu. Das ist als Mode unstrittig. Beschneidungen aber sind DAS Sommer-Streitthema derzeit - als Beispiel von semitischer Selbstverstümmelung… Heuchelei überall. Nur sieht man sie nicht.

Samstag, 21. Juli 2012

Erhöht die Fallzahlen, liebe Kollegen!

Irgendwie ist es immer wieder das Gleiche: Geheucheltes Entsetzen, Medienaufschrei, brutalst-mögliche Aufklärung und Nachdenken über Konsequenzen: der neue "Skandal" bei den Göttinger Transplantationschirurgen zum Team Lebertransplantation.
Da habe ein Kollege bei Empfängerpatienten "künstlich" Patientenakten bedarfsgerechter gemacht, indem er Daten gefälscht habe. Bisher steht weder fest, ob er von den Patienten dafür Geld genommen hat noch ob er als Einzel"täter" agiert hat. In den Medien ist eine Unschuldsvermutung sowieso nie angesagt.
Es ist ein bekannter Reflex, dass man sofort die finanziellen Vorteile des Kollegen diskutiert, der offenbar als Verantwortlicher diese Daten gefälscht und dafür gesorgt hat, sodass manche Patienten früher an ein begehrtes Spenderorgan kamen als andere.
Ethisch vertretbar ist das natürlich nicht, besonders wenn er sich diesen Dienst vom Patienten hat bezahlen lassen.
Aber in Nebensätzen scheint dann ein anderer, vielleicht der eigentliche, der wahrscheinlichere Beweggrund des Kollegen auf: die vertragsbedingte Leistungs-Abdingung durch den Träger. Heute sehen viele Arbeitsverträge mit den sogenannten Entscheidern vor, dass wegen der Auslastung von Geräten und Personal möglichst viele Leistungen innerhalb der DRG-Vorgaben erbracht werden, um die Fallzahlen zu erhöhen. Man nennt das Zielvorgaben. Dann gibt es nämlich Geld von der Kasse für das Krankenhaus, und auch (legitimes?) Geld für den Arzt…
Transplantationen bringen viel Geld, aber leider können mit ihnen nur geringe Fallzahlen erbracht werden. Die Spender lassen sich halt immer noch sehr bitten.
Also werden falsche Anreize gesetzt. Das berührt übrigens auch Felder der organisierten Kriminalität. Die Leistungsanreize können aber so gravierend sein, dass der Kollege sogar um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Also wird er tätig. Sollte das ein Beweggrund für den Kollegen gewesen sein, dann ist das ethisch natürlich unentschuldbar, und und strafrechtlich möglicherweise zu ahnden, und die Konsequenzen müssen dann getragen werden (von wem eigentlich?).
Aber es ist eben auch wieder der grundsätzliche Systemfehler unserer ökonomisierten Medizin anzuschuldigen. Und dass ein offenbar bekannter Transplanationsexperte heute im Radio von dieser "Ökonomisierung" der Medizin als etwas Unvermeidbarem sprach, das ist der eigentliche Skandal!

Freitag, 13. Juli 2012

Geschnitten - beschnitten?

Die deutsche Perfektionsmaschine, kristallisiert in ihren Justizorganen, hat sich sehr geschnitten, wenn sie die an sich klare Sachlage einer Körperverletzung beim Beschneidungsvorgang der Juden und Muslime in ein Verbot religiöser Überlieferungen mit hohem Aktualitätsbezug umschreibt.
Die Presse nimmt sich des Verfahrens in gewohnt unheimlich-unkritischer Art an und meint sich damit einen Dienst im Sinne von Transparenz zu tun. Weit gefehlt. Vermischt es noch mit der menschenunwürdigen Mädchenbeschneidung, die weiss Gott (!) andere Gründe hat!
Das Beschneidungsritual der Juden ist bei diesen und den Muslimen ein hohes kulturelles und religiöses Gut. Ein Verbot "beschneidet" die Religionsfreiheit. Das hätten sich die wohl eher dummdreisten Richter an diesem Landgericht bei der Urteilsfindung wohl überlegen müssen.
Der berechtigte Sturm der Entrüstung zumal bei den Juden, weniger bei den Muslimen (warum nur?)ist groß, und es ist dieses Urteil mehr als eine juristischer Wertung, es ist ein Eingriff in die Ausübung von Religion allgemein in unserem freien (?) Lande. In diesem kann doch "jeder nach seiner Facon selig werden", oder doch nicht?
Ich finde es wunderbar, wenn Bräuche lebendig eind, die mit einem tiefen Verständnis von Tradition und Geschichtsbewusstsein zu tun haben. Unsere Religion ist da weitaus säkularer, und dieser Widerspruch in sich kennzeichnet schon die ganze vermaledeite Situation. Glauben und Tradition, die so eng verwoben sind, können in unserer Kultur rational hinterfragt werden, und werden damit aufgehoben. Siehe Gottesteilchen! Und wenn die Anbiederungsversuche der evangelischen Kirche, die jetzt sogar den Papst anerkennen will, bei der anderen Couleur richtig gedeutet werden, verläßt auch dieses geradezu komische Gebaren den Raum reiner, freier und traditionsbegründeter Religionsausübung.
Ich fürchte einen neuen Kulturkampf. Dixi.

Mittwoch, 11. Juli 2012

Gottesteilchen

Jetzt hat die Natur-Wissenschaft ihren Triumph (den aber niemand außer den Wissenschaftlern so richtig versteht) und der heißt in der gegenwärtigen Medienhype "Gottesteilchen"! Es handelt sich um das sogenannte Higgs-Teilchen, das angeblich jetzt im CERN neu entdeckt wurde, wobei keiner genau weiß (außer den Physikern natürlich - und die schwafeln auch ganz schön), um was es ich dabei handelt.
Man muss sich das mal richtig vorstellen (wenn man es denn kann), dass eine durchgeknallte Presse aus einem "gottverdammten Teilchen" ein "Gottesteilchen" machte, weil sich das besser verkaufen ließ. Letzteres sicher. Denn nun weiß jeder, dass es ich um ein "letztes Teilchen" handelt, selbst wenn hier Gott als ein teilbares "Wesen" angesehen wird. Es wirft ein sehr erhellendes Licht auf das Selbstverständnis unserer Gesellschaft, wenn hier mit einem Begriff gehandelt wird, der eigentlich ein Tabu sein sollte. Früher wurde das unter der Kategorie "Blasphemie" abgelegt, mit durchaus barschen Folgen de für den Gotteslästerer (Folter, Verbrennung, Vierung, Schlimmeres).
Das haben wir heute nicht mehr…
Unsere Gesellschaft, die stolz darauf ist, kein Tabus mehr zu kennen, ziert sich mit de Vorstellung, nun doch wenigstens einen Teil dieses fragwürdigen Gottes naturwissenschaftlich abgeklärt zuhaben, und wenn ein Teil bekannt ist, kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, den "ganzen" Gott "erkannt" zu haben. Da haben sich Generationen von aufgeklärten Philosophen bis Descartes darauf verlegt, den "Gottesbeweis" anzutreten, nun kommt CERN und die "Sache ist gegessen".
Irgendwie regt sich aber in der soeben kritisierten Gesellschaft ein wenn auch leichter Widerstand. Man möchte dieses Teil nicht mehr mit dem Präfix versehen und schämt sich (ein bisschen). Das ist seltsam, und rekurriert auf die Frage, ob es nicht doch was von einem blasphemischen Gewissen ist, das sich da regt? Hoffnung.
Es ging und geht nie um Teile, sondern immer im den ganzen Gott. Um den persönlich Erlebten. Um den Gott Hiobs und den Gott Moses'. Um den in den Psalmen. Um die Menschwerdung. Um die Vergebung. Und so denke ich: lass sie machen. Es rührt DEN nicht. Der Tanz ums Goldene Kalb ist ja doch längst Gesellchaftsphilosphie und Gott - naja, der ist trotzdem für uns alle da. Auch für Higgs und CERN.