Donnerstag, 16. Februar 2012

Darüber reden...

Wenn man durch den Regen geht, spannt man einen Schirm auf. So ist das.
Keine Angst - es geht nicht um "Rettungschirme"! Regen ist ein Naturereignis, und man kann den Guss nicht abstellen. Was soll diese Anmerkung, die an Binsigem nicht zu überbieten ist?
Nun, es war eine Pressemeldung, die mich heute interessierte: Es ging um die Veröffentlichung eines mir unbekannten Fussballers über seine im Verlaufe seiner Ball-Tätigkeit erlebten Depressionen. Man müsse "darüber reden", das nennt man im Pressedeutsch "Enttabuisierung". Dies war auch schon der Fall im medialen Ereignis "Enke" vor einigen Jahren; damit befasst sich sogar eine Stiftung gleichen Namens. Man soll auch über z.B. häusliche Gewalt, über "Kindesmißbrauch" "reden". Man soll einfach nicht schweigen - denn dadurch würde man, so die Meinung, das Unheil erträglicher machen. man erinnere sich: die Diagnose der Jetztzeit mit der höchsten Zuwachsrate ist die von psychischen Störungen, von Unzufriedenheit am Arbeitsplatz.Depressionen sind "Mode", man spricht sogar schon vom "Depri" in der Jugendsprache, und mir kommt es vor, dass dieses Reden über Depressionen etwas zu tun hat mit der Metapher vom Aufspannen eines Regenschirms. Vor ein paar Wochen hörte ich einem Vortragsabend über Mobbing zu. Es ging darin um die Möglichkeiten, sich vor dieser erschreckenden, zunehmenden Unmenschlichkeit am Arbeitsplatz zu schützen. Sehr großsprecherisch traten da Psychologen und (meist weibliche) Psychotherapeuten auf, die wortreich und bedenkenlos schwadronierten, dass Kurse, Gespräche und eben "das Reden darüber" die wichtigsten Instrumente zur Bewältigung dieser existentiell bedrohlichen Situationen seien. Take it easy, war die Botschaft.
Nun: kein Wort wurde und wird darüber verloren, dass man - das sagt der Arzt - eigentlich erst die Diagnose stellen sollte, um dann eine geeignete wirksame und nebenwirkungsarme Therapie anzuwenden. Diese richte sich nach den Ursachen, weniger nach den Symptomen. Dies kann zwar sinnvoll sein, aber immer nur vorübergehend, oder - ganz schlimm - als Palliativmaßnahme. Dieses "Reden darüber" kommt mir wie letzteres vor. An die eigentlichen Ursachen wird nicht gerührt. Die sind immer noch tabu! Unsere Arbeitswelt ist schwierig, und das ist eine nur unvollkommene Umschreibung. Sie ist nämlich derartig leistungsabhängig und dadurch antikollegial, dass es einen als Rentner graust, wenn alle nun danach rufen, dass nun auch die Älteren -wer ist das? - wieder an die Arbeit zurückkehren sollen. Ich bin und war zwar kein Gegner von notwendiger Leistung, habe selber gebührend erbracht, möchte aber nicht in diese Arbeitswelt, bei der nichts anderes mehr zählt, zurückkehren, die aber kein Naturereignis ist, dessentwegen man einen Schirm aufspannen kann. Sie ist menschengemacht und menschenverachtend. So ist das. Und daher bleibt einem nur, an die Wurzeln zu gehen und diesen menschenverachtende Verhalten zu verhindern. Wie? Anprangern, öffentlich machen, oder: fatalistisch sein und Palliativmaßnahmen anwenden… Wenn schon "reden", dann über den Arbeitsplatz oder über das, was einen krank macht. Und wütend sein, dass unsere Arbeitswelt so schlimm geworden ist.
Eigentlich weiß ich auch kein Patentrezept. Vergeblichkeiten und Ohnmachten bestimmen wie immer unser Handeln, die wir mit Blindheit geschlagen sind.
Aber das Ausweichen vor der eigentlichen Ursache kann auf Dauer nicht richtig sein.
Und die Betroffnen leiden.

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