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Donnerstag, 14. Juli 2011

Mein Pessimismus

Arztsein und die Ökonomie
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In einem lesenswerten Beitrag des Freiburger Historikers Prof. Giovanna Maio im Saarländischen Ärzteblatt geht dieser auf den zunehmenden Widerspruch des ärztlichen Selbstverständnisses und der Ökonomisierung ein. Dies ist ja nicht nur ein ärztliches, sondern ein überaus allgemeines Problem, und so schreibt er einleitend: "Wir leben in einer Zeit, in der alle Bereiche des öffentlichen Lebens nach den Kategorien des Marktes organisiert und vom ökonomischen Denken durchdrungen werden." Dem ist nur zuzustimmen, doch wird sich durch eine solche Diagnose zunächst ja nichts ändern, denn die Entfremdung des Arztes von seinem sozialen Auftrag, in Not befindlichen Menschen zu helfen, hat bereits eingesetzt und ist weit fortgeschritten. Maio beschreibt zutreffend diesen Wechsel vom sozialen zum Dienstleistungsbereich, der den Patienten zum Kunden degradiert und verstümmelt. Dass er dabei auch den Arzt in seinem tiefsten Wesen ändert, ihn umformt, ja deformiert, ist nur konsequent. "Das Resultat ist Modularisierung und Standardisierung." schreibt Maio.
Diese an Profit der Konzerne orientierte Haltung trifft auf eine spiegelbildliche Haltung des Patienten, der in seiner bereits werbetechnisch erfolgten Umerziehung sich ebenfalls zum Kunden mit Reparaturanliegen und Garantieanspruch gewandelt hat. Wir Kardiologen mit unserer geradezu kindlichen Apparate-Gläubigkeit stimmen darin mit ihm überein und entwickeln Standards und klinische Pfade, die den Regeln der jeweiligen Marktanforderung entsprechen. Der ärztliche Auftrag des Helfens und Heilens ist nicht mehr erkennbar, wird auch nicht mehr geradeheraus gewünscht.
Welche Rolle in diesem Kontext aber der Mensch spielt, wird zur offenen Frage, die jedoch nicht mehr vorurteilsfrei diskutiert wird, sondern in der Wortwahl der ganzheitlichen Medizin, die grundsätzlich alternative Behandlungsmethoden anwenden muss, zum ideologischen Diskurs ohne wirklichen Lösungsansatz. Der "Krieg" zwischen der Schulmedizin und der alternativen Medizin ist ja gar keiner, denn der das Herz behandelnde Kardiologe muss auch den Menschen mit dem kranken Herzen berücksichtigen, tut er das nicht, liegt er falsch, selbst wenn er von dem Verwaltungsleiter seiner Klink dazu gezwungen wird.
Wenn man den unbestritten hochaktuellen Beitrag des Historikers liest, erschrickt man ob der klaren Diagnose und auch darüber, dass man dieses Spiel selber jahrelang mitgemacht hat.
Dennoch müssen sich Ökonomie und gutes Arztsein nicht ausschließen. Denn wo Dinge Geld kosten, und wo Handauflegen und weiße Salbe nicht angebracht sind, muss wirtschaftliches Denken eine Rolle spielen, z.B. beim Notfall oder bei dessen Prävention. Doch muss sich Ökonomie dem ärztlichen Handeln unterordnen und nicht umgekehrt rangieren. Das setzt jedoch ein anders Denken aller Verantwortlichen voraus, das das Vertrauensverhältnis zum Patienten und dessen Hilfsbedürftigkeit zum Gradmesser hat. Die Würde des Menschen, des kranken Menschen zumal, muss der Gradmesser sein. Krankenhäuser, die ihre Qualität nur managen und damit den Arzt in das Diktat des Marktes zwingen, handeln gegen die Würde des Menschen, sind daher eigentlich nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung, denn "die Würde des Menschen ist unantastbar". Plan-do-check-act ist auch auf die menschliche Interaktion zu beziehen und wird es leider im praktischen Bezug nie.

Wir Kardiologen müssen uns allerdings auch fragen, wie mit einem solchen sozialen Arztbild unser tägliches Verhalten im Umgang mit den apparativen Anforderungen interpretiert werden kann. Sind wir nicht schon Opfer unseres Fortschrittsglaubens, der sich an technischen Innovationen stolz begeistert? Der Kardiologe ist besonders als Interventionalist sehr anfällig für Vordergründiges. Er steht im Katheterlabor, um sich und seinem Krankenhaus die größtmögliche Pfründe zu sichern. Aber auch der niedergelassene Kardiologe sieht sich dem Markt ausgesetzt: er nutzt die Geräte, um seine Praxis zu finanzieren. Der Patient verschwindet in dem Gerät als Mittel zum Zweck.
Gibt es einen Ausweg? Gibt es den "guten Arzt" noch, so wie es die "gute Regierungsführung" oder den Begriff der "Good medical practice" im englischen Schrifttum gibt? Oder: Gegen die Macht de ökonomischen Hedonismus ist kein menschliches Kraut gewachsen.

Vieles ließe sich zu dem unerschöpflichen Thema sagen. Wir werden uns weiter äußern.

Quelle:
Maio G Saarl.Ärzteblatt 7; 2011, 13


/ghe

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