Konservativ-rechts und progressiv-links: sind das noch Begriffe, die auf die politischen Parteien unserer Zeit passen?
Da liest man heute in der WELT, einer Tageszeitung, die nicht im Verdacht steht, sich linkem Gedankengut auch nur zu nähern, dass der Zeitgeist heute "konservativ" sei. Dieser spiegele sich im Hang der Zeitgenossen, sich einer "neuen" Boheme im Internet hinzugeben. Man könne im Netz aufregten Blogs und Seiten studieren, um Sound, Temperatur und Geschwindigkeit kultureller Taktgeber zu analysieren. Gut, das Internet dieser Zeitgenossen, meist junger finanziell unabhängiger und beruflich erfolgreicher Mitmenschen ist elitär; auch die sogenannte Demokratiebewegung der arabischen Staaten ist elitär, denn das Gros der Armen in diesen Ländern hat keinen Internetzugang. Diese Zeitgenossen hier bei uns aber seien meist politisch rechts von der Mitte angesiedelt. Was nun wieder das bedeutet? Es bedeutet Folgendes: "Denn nur wer fleißig ist und kompetent, verdient genug Geld, um sich Anzüge maßschneidern zu lassen und Pferdelederschuhe gleich dazu." Und: " Dort würden sie beobachten können, wie die Kinder ihrer Wähler (oder ehemaligen Wähler) heute in die Gymnasien in Bad Homburg, Dahlem, Starnberg oder Harvestehude gehen. Sie würden entdecken, wie akkurat die Hemden sitzen und Frisuren, und schließlich müssten sie verstehen, dass es in dieser Welt selten chicer war, konservativ zu sein – und sich eben nicht im Merkelschen Sinne als ewig zu spät Kommender den allzu Zeitgeistigen anzubiedern." Alles O-Ton WELT! Dass die älteren Herren und Damen der sogenannten bürgerlichen Parteien keinen geschliffenen Umgang mit dem Internet pflegen, stimmt. Auch eine gewisse Kulturferne ist bei diesen Personen zu beobachten, stimmt auch. Aber den beschriebenen Personenkreis nun als progressiv zu bezeichnen, geht denn doch zu weit. Rechtskonservativ: das gibt's immer noch, und viel zu viel.
Und wie ist das mit dem Begriff Links? Hier wird verstiegen argumentiert, die "kulturelle Avantgarde" sei "nicht mehr nur links, sondern für die Bürgerlichen zum Greifen nah". War denn diese Avantgarde jemals politisch, also links, in den Zeiten des sozialen Aufbruches etwa der 20er Jahre? Ja es gab linke Kunst, bei Dix, Brecht, Kollwitz, Zille war sie "zum Greifen nah"- aber Nolde, Modersohn, Kirchner, Kandinsky, ja sogar Picasso - das war künstlerische Selbstdarstellung, keine linke Kunst, wenn man sie als politische Kunst versteht. Auch die heutigen Künstler, mit denen sich unsere Politiker manchmal umgeben (SPD_Politiker zumal) sind eher bürgerlich: Baselitz etw, Neo Rauch oder Jörg Immendorf, aber nicht politisch im programmatischen Sinn, selbst wenn es DDR-Künstler sind.
Links ist immer noch der, der sich für die Ungerechtigkeiten in dieser Welt einsetzt, der Unterdrückung anprangert und für die Gleichverteilung von Chancen ist. Der also ein politischer Mensch ist. Homo politicus eben. Wenn man unsere Parteien aber nun an diesen Maximen misst, oje, dann kann man ins Grübeln kommen. Die Parteien sind aber austauschbar geworden, was ihre Programmatik angeht; eine Ausnahme machen nur die Grünen. Sie sind in der Lage, augenfällige Probleme, etwa die Atomkraft, sehr plakativ zu thematisieren, und diese Probleme sind eben Probleme der Bürgerlichen, die sich dann gern als Wutbürger bezeichnen. Wut ist aber eigentlich etwas Ungerichtetes, Schwammiges und auch Jähes. Wut ist nicht primär revolutionär, erst dann, wenn es in die entsprechenden Bahnen gelenkt wird. Nein, neo-links sind die Grünen nicht. Denn das linke Denken ist vielschichtiger, enger plakativ und es kann auch nicht als bürgerlich bezeichnet werden. Und dennoch sehnen sich alle Parteien, auch die linken, nach der neuen Mitte, und was ist das denn nun schon wieder? Riechen tut das Wort natürlich nach Mittelmäßigkeit. Auch beliebig fällt mir dazu ein. Viehisch ist das die Definition der neuen Konservativität: Mittag bleiben, möglichst nicht abweichen vom Kurs, was man hat, bewahren. Früher hieß es mal: "Keine Experimente, CDU wählen!", das war aber 1960, und es war ein Adenauer-Plakat. Heute alles anders?
/ghe
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