Freitag, 27. April 2012

Medizin und die Ökonomieseuche

Im letzten Ärzteblatt fand sich eine bemerkenswerte Bestandsaufnahme des inneren Zustandes unsere Medizin und der darin tätgen Ärzte. Es wurde dort nämlich die Diagnose einer fast hoffnungslosen Ökonomisierung dieser Medizin gestellt - mit einer düsteren Prognose. Nun kennen wir alle das Problem, und in diesem Artikel wurde auch nichts anders getan, als - wenn auch schonungslos und ungeschminkt - das Problem aufgezeigt, von einem Medizinethiker immerhin. Doch es stellt sich natürlich die Frage nach einer Therapie.
Und die ist eben schwierig, multifaktoriell und bewußtseinsabhängig. Die Diagnose des Patienten Medizin ist ja auch eine Diagnose des Zustandes unserer Gesellschaft, die in eklatanter Weise von den Gegebenheiten der "Märkte" - so heißt das eben - abhängt. Das kann man im Kleinen erkennen, etwa wenn die ohnmächtigen Versuche der Politik scheitern, eine Firma vor dem Konkurs zu retten oder Verlagerungen von Firmenzentralen zu verhindern, wie hier im Saarland zu beobachten. Im Großen haben wir die kapitalistischen Groß-Maschinen der Formel I, der UEFA und anderer im Spiel, die das Mantra von der politischen Neutralität des Sports verkünden und doch wissen, dass es hochpolitische finanzielle Einflussnahmen auf Staat und Gesellschaft sind. Niemand würde auf die Idee kommen, in der Austragung der EM in der Ukraine etwas anders als eine politische Demonstration zu erkennen, aber eben eine, sich dem Ungeist und der Unmenschlichkeit des Systems zu unterwerfen. "The games must go on" (Avery Brundage), das war 1972 und ist jetzt auch unumstößliches Gesetz.
Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch...
Da ist es nämlich wohltuend und zielführend, zu lesen, dass Gauck seine Reise als Bundespräsident in die Ukraine abgesagt hat. Farbe bekennen. Gut so.
Nur, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, das ist für die Medizin natürlich keine Lösung. Die Medizin ist dem ökonomischen Prozess "verfallen".Zu sehr sind wir als Ärzte schon in den ökonomischen Prozeß eingebunden. Wir müssten ja um unsere Arbeitsplätze fürchten. Und was sollten wir tun? Streiken? Es reicht schon, sich die Misere bewußt zu machen. Und selbst da hapert es schon.

Mittwoch, 11. April 2012

Gut zu lesen

Grosser schrieb dies in der Süddeutschen Zeitung. Und das ist gut zu lesen. Denn so wie man auf den armen GG einschlägt, mit vereinten und "gleichgeschalteten" Kräften, das ist schon einmalig. Aber erwartbar, wenn auch kaum ertragbar.
Auszüge:
"Weil er etwas Vernünftiges gesagt hat in seinem sogenannten Gedicht. Es ist natürlich kein Gedicht, aber was darin steht ist doch viel wichtiger als die Form: Die israelische Regierung provoziert. Doch was passiert, wenn sie Iran wirklich angreift und was ist, wenn Iran dann Raketen hat, mit denen er Tel Aviv angreifen kann? Dann ist der Krieg los."
oder
"Ich frage: Wer hindert sie denn daran? Wo war zum Beispiel die Kritik bei der Lieferung des letzten Unterseeboots von Deutschland an Israel? Da gab es ein bisschen Kritik von den Grünen, sonst nichts. Auch wenn ich bei Ihnen im Land in Gymnasien bin, fragen mich Primaner, wie man als Deutscher mit Israel umgehen müsse. Denen sage ich, dass sie keine Schuld tragen, dass sie aber die Pflicht haben, an Hitler und das Dritte Reich zu denken und heute die Menschenwürde überall zu verteidigen. Das gilt dann aber bitte auch für die Palästinenser. Und wenn Israel solche Werte vertritt, dann bitte auch gegenüber den Palästinensern."
Und was ist mit der Bombe? Da kann man doch mal fragen, wozu die Israelis die brauchen. Antwort: für ein kleines Hiroshima? Mindestens sollten sie mal Kontrolleure etwa von IPPNW ins Land lassen.

Freitag, 6. April 2012

DAS GEDICHT

Das Gedicht von Günter Grass
"Was gesagt werden muss" - das Gedicht im Wortlaut
Wir dokumentieren den Wortlaut des Gedichtes "Was gesagt werden muss" von Günter Grass in voller Länge.

Das Gedicht erschien in der "Süddeutschen Zeitung" und der "La Repubblica".

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er missachtet wird;
das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

(Quelle: Süddeutsche Zeitung)

Mittwoch, 4. April 2012

Israel und Günter Grass und HM Broder

Die WELT hat heute einen merkwürdigen Aufmacher: sie läßt ihren Hauskolumnisten Broder sagen: "Nicht ganz dicht, aber ein Dichter" und meint damit den Schöpfer der "Blechtrommel". Der soll in einem Gedicht unter anderem (!) gesagt haben:
"Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten – ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle und keiner Prüfung zugänglich ist?"
Ist er deshalb nicht ganz dicht? Mal abgesehen davon, dass das gegenüber einem unserer geistigen Mitgestalter grob ungehörig ist, trifft Grass damit eine zwar politisch unkorrekte Grundaussage über Israel, die von allen den Politikern und den Medien, die hier Hand in Hand arbeiten, unter dem Teppich der schamhaften Verschwiegenheit gehalten wird.
Aber sie stimmt völlig. Israel hat eine Atombombe, die unkontrolliert und unbeaufsichtigt als Angriffswaffe in einer hochbrisanten Region vorgehalten wird. Nur: niemand spricht darüber, und die Öffentlichkeit wird gelenkt auf ein Szenario, in dem nicht Israel sondern der Iran die Hauptrolle des Bösen zu spielen scheint. Nur - von dem ist bisher nicht bewiesen, dass dessen Atomprogramm friedlichen Zwecken dient (wahrscheinlich nicht), aber von Israel verschweigt man zwar die Existenz einer Waffe, doch jeder weiss, dass es sie gibt - und die dient sicher nicht friedlichen Zwecken.
So what? Grass nicht dicht? Grass ein verdeckter Antisemit? In Deutschland wird Kritik an Israel fast reflexartig mit Antisemitismus gleichgesetzt. Das ist auf dem Hintergrund der Geschichte der Naziverbrechen erklärbar, aber nicht entschuldbar. Israel ist ein Staat wie jeder andere, will es auch sein, selbst wenn er in der Region im Streit steht, und muss sich wie jeder andere Staat Kritik gefallen lassen.
Klar ist auch: Wir Deutschen sind Freunde Israels, und der Staat Israel ist als Staat unverzichtbar. Freunde aber dürfen und müssen kritisieren.
Aber wir sind Meister des Verschweigens sachlicher Zusammenhänge, und Broder sollte wenigstens das akzeptieren.