Donnerstag, 23. Dezember 2010

Weihnachten 2010

Alle sagen, jetzt sei die Zeit des Innehaltens, des Verweilens und der Geduld, denn da wird ja etwas kommen, das wir - recht betrachtet - weder erwartet noch verdient haben. Das Geschenk unseres Gottes, sein Sohn, jüdischer Renegat und in eine Patchworkfamilie hineingeboren, soll uns Frieden und Aussöhnung bringen, seit nun 2010 Jahren. Dafür lohnt es sich, zu warten und innezuhalten, obwohl dieses Geschenk von uns Menschen bisher nicht gewürdigt wurde.
Überall noch Krieg, Unruhe, Auseinandersetzung, homo homini lupus etc. Und doch...
Das mit dem Innehalten - wir haben es verlernt, haben es nicht mehr drauf.
Wir sind ja eine mobile Gesellschaft, die sich jetzt wieder auf den geschlossenen Flughäfen, den überfüllten Bahnsteigen und auf den durch die LKW verstellten Autobahnen versammelt, um dem Fest zu entkommen. Und was geschieht? Der häufigste Spruch der Nachrichtensprecher: "Nichts geht mehr!"
Und das bedeutet, dass wir in unserem Drängen wegzukommen, aufgehalten werden. Ist das nicht ein Zeichen? Auf den Plattformen der Mobilität, den Flughäfen, den Bahnhöfen, auf den Inseln der Fortbewegung, den Autos: kein Wegkommen mit ihnen, sondern Anhalten. Es gab mal einen Film "Terminal" mit Tom Hanks, der auf einem Flughafen strandete, und wo einer seiner neuen Bekanntschaften, ein Jude, zu ihm sagt: "Jetzt ist die Zeit, nachzudenken, wohin man geht, also tue es!". Innehalten, wenn auch auf ungewöhnliche und unerwartete Art. Wenn es uns gelänge, in diesem Zeichen die höhere Kritik zu erkennen, dass unsere Mobilität auch nicht mehr ist, als es die Natur (oder wer?) zuläßt.
Ein Stopp verursacht durch nichts anderes als Naturgewalten, wird von uns nur als Ärgernis jener Institution wahrgenommen, die wir als überwunden ansahen, und mehr als Grund, unsere Rechte als Verbraucher,Bürger oder Konsumverursacher wahrzunehmen, als wahrzunehmen, was sonst noch da draußen passiert. Es gibt alle möglichen Berichte darüber, wie viele es traf, Tausende offenbar, aber ob es viele waren, die wirklich innehielten? Ich glaube nicht.
Man berichtet auch, dass in den Zeitungsmeldungen des vergangenen Jahres die "Kirchen" so häufig Berichts-Gegenstand waren wie nie zuvor. Ein gutes Zeichen sicher nicht, denn der Grund war ein Sündenfall der besonderen, der verwerflichen Art, vorwiegend der katholischen Kirche allerdings. Kein Innehalten, keine Reflexion, wohl aber oberflächlich-rasche Distanzierung, diese sehr weltliche Art der Ausgrenzung.
Innehalten auch in den Familien? In diesen, in vielen, wird entschleunigt, es wird wenigstens am 24sten versucht. Doch gelingt das wirklich, wenn der Alltag vieler Familien von dem genauen Gegenteil bestimmt ist: Citius, latius, altius? Dieser Alltag ist vor allem Berufsalltag, ich kenne diesen Alltag und kann es mir leicht machen, als Rentner kritisch davon zu sprechen. Doch verzehrt dieser Alltag immer mehr den Menschen, ja, er verschlingt ihn und es ist kaum anzunehmen, dass er ihn wieder ausspuckt wie Jonas.
Innehalten.
Der steht vor der Tür, der sich später für uns opferte. Von dem wir lernen könnten, lebenslang.
"...denn siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird: denn Euch ist heute der Heiland geboren..." sagte der Engel.

/ghe

Dienstag, 7. Dezember 2010

Wetten Dass - Wikileaks - Neuroenhancer: unser weihnachtlicher Gabentisch

Nun fehlt es nicht an klugen Kommentaren, wie man es besser (sicherer) machen könnte mit dem ZDF und Wettendass, eine Sendung übrigens, die ich mir schon seit langem nicht mehr antue. Einer der
Schaufiguren, einem Stuntman (auch Schauspielschüler genannt), passierte es also; er liegt als Quotenopfer schwer verletzt im Krankenhaus.
Zwar wurde die Sendung unterbrochen (gut), alle machten betroffene Gesichter, aber das nächstliegende: diese verstiegene Sendung gänzlich in Frage oder (ab-) zu stellen, das fällt niemandem ein. Dabei schaut die Scheinheiligkeit und Heuchelei den ZDF-Größen aus Augen und Ohren,denn nein, sie schielten ja nie nach Quote, einer sprach sogar von einer guten "Sendungsidee",keine Rede von "Bildungsauftrag" oder "Verantwortung" gegenüber dem Zuschauer im gebührenbezahlten Fernsehen. Nun ist Reflexion über solche "letzten Dinge" wohl generell verloren gegangen, denn der Zuschauer will halt "zuschauen", auch dabei, wie Mitmenschen leiden. Gaffer, der er ist, er gibt es nur nicht zu.
Heute ist Voyeurismus eine allgemeine Lebenshaltung, war sie vielleicht schon immer, aber sie wird heute öffentlich und als Sinnziel der Medien vorgetragen.
Auch die Geschichte mit Wikileaks gehört übrigens in diese Kategorie, denn die wenigen in den Medien publizierten "Depeschen" - welch altertümliches Wort: man denkt z.B. an die "Emser Depesche", die den deutsch-französischen Krieg 1870 auslöste - lösen keine Kriege mehr aus (zum Glück), aber bedienen unsere Schadenfreude, Klatsch und Tratsch-Bedürfnisse über den Küchenkrempel der Prominenten. Völliger Kleinkram, wenn es mich auch freut, Niebel als "schräge Wahl" oder Westerwelle als inkompentent bezeichnet zu sehen, oder 's Angela als "wenig risikofreudig".
So werden wieder unsere Wünsche nach Oberflächlichkeit bedient, und was auch noch zunimmt, ist unsere klammheimliche Freude am Schaden des anderen, Gaffermentalität eben.

Vielleicht ist aber (weihnachtliche?) Hoffnung: wie ich im Ärzteblatt lese, werden in naher Zukunft die sog. Neuroenhancer (die irgendwas im hirnlichen Striatum, der Belohnungsinsel???
verstärken) eine "mentale" Umerziehung des so oberflächlichen Menschen ermöglichen, die uns alle zum sog. "guten Leben" führt, so wie "good clinical practice" oder "good government" ja auch schon anerkannte Güteziele sind. Nur: welches gute Leben nun gemeint ist, und von wem es definiert wird, das konnte der Autor nicht mitteilen. Was ist aber GUTES LEBEN???? Dummerweise denke ich wieder an Aldous Huxley.
Ich meine, ein gutes Leben führt wahrscheinlich der Fernsehzuschauer mit und ohne Neuroenhancer vor dem Bildschirm, wenn Wettendass läuft!!! Oder ist das ZDF bereits ein Neuroenhancer?
Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage.
Frohe Weihnachten.
/ghe