Montag, 12. April 2010

Schule, Lehrer, Strafe

Ich gehöre sicher einer anderen Generation, auch der Vorstellungswelt nach, an, als diejenige, die heute die Meinungsmacht vertritt, also vornehmlich in den Medien. Diese verfeuern sich zurzeit sozusagen in den gegenwärtigen Schlagzeilen zu Missbrauch und Misshandlung in Schulen, kulturellen und sozialen Einrichtungen, besonders der katholischen Kirche. Vielen dieser Entdeckungen kann man nur mit Ekel und Kopfschütteln begegnen, und das öffentliche Verhalten der katholischen Kirche ist da mehr als irritierend.
Andererseits führt das aber auch zu einer grotesken Vermischung der Begriffe, so dass etwa Missbrauch und Misshandlung fast gleichgesetzt werden. Nun kann man ersteres sicher nur und mit allem Nachdruck verurteilen, da gibt es keinen Zweifel. Zum zweiten aber, nämlich dem Gebrauch körperlicher Züchtigung, kann man einer differenzierten Meinung sein, wenn man einer aussterbenden Generation angehört wie ich.
Ich lese zum Beispiel einen Beitrag von Heribert Prantl, einem von mir sehr geschätzten investigativen Journalisten, in der Süddeutschen Zeitung:
<< Die Eiszeit der Erziehung ist soeben erst zu Ende gegangen. Sie war eine Art Scharia im Westen. Die Misshandlungsskandale, die heute entdeckt werden, sind ihr Nachhall. >>
Dazu aus meiner Sicht Folgendes:
Da ich gegenwärtig an einer Website unserer Gymnasialklasse von 1956 (am humanistischen Gymnasium, dem heutigen Ratsgymnasium in Minden) und früher bastele, versuche ich mich zusammen mit meinen Kameraden an unsere Lehrer und an das, was sie „erziehungstechnisch“ mit uns taten, zu erinnern. Ich kann mich an „Tatzen“ erinnern, Kameraden an wohl gezielte und sinngebende Ohrfeigen im Anschluss an Schülerverfehlungen, die zwar aus unserer Sicht „harmlos“ waren, aber dieses Attribut aus der Sicht der Lehrer eben nicht besaßen. Einer meiner Kameraden bringt es aber auf den Punkt, indem er schreibt:
<< … dass unser Biologielehrer Karlchen Kirchhof auf mich, bzw. diese Lederhose mit einem Stock eingeschlagen hat, wobei der Stock zerbrach. Wir wären niemals auf die Idee gekommen, damals von Prügelpädagogen zu sprechen. >>
Wir haben an unserer Schule unsere Lehrer immer als Vorbilder, und als gütige, verständnisvolle Erzieher erlebt, als welche sie auch in unserer Erinnerung weiterleben. Also: nachdem wir unsere Reifeprüfung gemessen an unsern Biografien, abgelegt haben, konstatiere ich: es hat niemandem von uns geschadet. So what?
Heute wird alles problematischer angesehen, als es ist, und es wird gerade von den Medien, in der Annahme, das sei Auflagen- oder Quoten-steigernd, hochgefeuert. Sicher gab es Übergriffe, sicher waren manche Lehrer keine Erzieher, aber eine gezielte, maßvolle Züchtigung als Folge von Regelverstößen hat ihren Beitrag dazu geleistet, dass unsere Schule eine von uns ernstgenommene Instanz war. Tugenden, die heute von manchen Berufsgruppen vergeblich wieder eingefordert werden, wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Disziplin, wurden uns zur alltäglichen Selbstverständlichkeit. Davon haben wir sicher unser Leben lang gezehrt.
Und Heribert Prantl weiter:
<< Ist der Leistungsdruck, der heute vielen Kindern von ihren Eltern aus der verunsicherten Mittelschicht eingepflanzt wird, nicht auch gewalttätig? An vielen Jugendlichen kann man heute die typischen Managerkrankheiten beobachten. >>
Dem ist nichts hinzuzufügen!
/ghe